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„Achtsam gestärkt“ ins Abitur

Wie immer im Frühjahr sind unsere bayerischen Schülerinnen und Schüler gerade auf der Zielgeraden zum Abitur. Seit Wochen und Monaten bereiten sie sich auf dieses Finale vor. Für ein gutes Dutzend junger Erwachsener des Spessart-Gymnasiums Alzenau (SGA) bestand und besteht diese Vorbereitung aber nicht nur in der Fokussierung auf die klassischen Fächer. Auch mental sind sie gestärkt. Lernend und lehrend haben sie eineinhalb Jahre am Projektseminar „Achtsamkeit lernen, kultivieren & weitergeben“ teilgenommen. Hier haben sie wissenschaftlich anerkannte Methoden der Stressreduktion, Konzentration und Entspannung selbst erprobt, vertieft und im Rahmen eines Projektes an Schülerinnen und Schüler der 6. Klasse des Gymnasiums weitergegeben.

Rückblick
Ein Donnerstagnachmittag zu Beginn des Schuljahres 2021/22. Die Oberstufenschüler des Projektseminars betreten den Meditationsraum der Schule, wo das Seminar zum ersten Mal stattfindet. Ein Glücksfall: Dieser Raum wurde bereits vor ein paar Jahren am Spessart-Gymnasium eingerichtet. Alle Seminarteilnehmenden sind eingeladen, eine Matte und ein Meditationskissen zu nehmen, einen Platz zu suchen und sich auf den Rücken zu legen. So beginnt die Kursleitung Claudia M. Dornfeld an diesem sonnigen Spätsommernachmittag ihr Achtsamkeitsseminar. Der Auftakt zeigt: Der Unterricht für die jungen Menschen wird anders als gewohnt verlaufen.

Von ihrem Sitzkissen aus leitet die Pädagogin die Übung an: „Den Körper anspannen und dann vollständig entspannen. Die Füße locker nach außen fallen lassen und die Arme links und rechts vom Körper sanft ablegen.“ Was nun folgt, ist ein sogenannter Bodyscan. „Nehmt zunächst wahr, wie ihr auf eurer Matte liegt. Richtet dann die Konzentration auf euren Atem, so, wie ihr ihn gerade bemerkt. Nehmt wahr, wie sich beim Einatmen der Bauch hebt und beim Ausatmen wieder senkt. Bleibt für einige Augenblicke bei dieser Beobachtung. Was könnt ihr hier wahrnehmen? Wie fühlt sich die Bewegung an?“

Achtsamkeit
Was für die Schülerinnen und Schüler neu war, nämlich bei dieser gedanklichen Reise durch den Körper die Aufmerksamkeit auf das zu lenken, was im Moment wahrnehmbar ist, ist gar nicht so neu. Der Bodyscan ist eine Achtsamkeitsübung, die seit Jahrzehnten erprobt und wissenschaftlich anerkannt ist. Und er ist Teil des MBSR-Programms (Mindfulness-based Stress Reduction), eines Achtsamkeitstrainings zur Stressreduktion. Eingesetzt wird es im klinischen Bereich, beispielsweise als Begleittherapie bei Krebserkrankungen und psychischen Leiden. Inzwischen ist es aber auch im außerklinischen Bereich anzutreffen – als Instrument für einen gesünderen Lebensstil, als Gesundheitsprophylaxe für Mitarbeitende in Unternehmen oder als Trainingsprogramm für Führungskräfte zur Sensibilisierung für einen nachhaltigen Leitungsstil.

Achtsamkeit in Schulen
Die Wirkung solcher Achtsamkeitstrainings steht außer Frage und ist in zahlreichen Studien nachgewiesen. Und sie halten zunehmend Einzug in den pädagogischen Bereich – in Kitas, Schulen und Universitäten. Hier ist bundesweit ein klarer Trend zu beobachten: Immer mehr Bildungseinrichtungen integrieren bewusst Achtsamkeit in den Lehr- und Lernbetrieb. Gefördert wird diese Entwicklung deutschlandweit und auch international durch das Engagement zahlreicher Pädagoginnen und Pädagogen, die selbst eine langjährige Meditationspraxis haben und achtsamkeitsbasierte Methoden engagiert und professionell in die Bildungseinrichtungen tragen.

Konkretes Beispiel: Zur Stärkung der Resilienz in Pandemiezeiten förderte das Programm AUF!leben – Zukunft ist jetzt 2022 zahlreiche Achtsamkeitskurse für pädagogische Fachkräfte (AKiJu-Curriculum). Das Programm, ein Projekt der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, wurde vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert. Diese Kurse zielen darauf ab, Pädagoginnen und Pädagogen zu einem selbstverantwortlichen, achtsamkeitsbasierten Stressmanagement zu befähigen und kleine Achtsamkeitsmomente in den Berufsalltag zu integrieren und an Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene weiterzugeben. Achtsamkeit ist also auch in der Bildungspolitik angekommen.

Erwähnenswert ist auch das Engagement des Instituts für Achtsamkeit, Verbundenheit und Engagement (AVE Institut). AVE ist eine gemeinnützige Organisation, die Impulse geben möchte, damit Achtsamkeit und Empathie Teil der Schulkultur werden. Zu diesem Thema bietet sie umfassende Informationen, unterstützt die Bildung von Netzwerken und vermittelt Weiterbildungsmöglichkeiten.

Ein Allheilmittel ist Achtsamkeit nicht. Studien weisen aber darauf hin, dass gerade auch junge Menschen von den Wirkungen achtsamkeitsbasierter Techniken und Methoden im Bereich der Konzentrationsförderung, der Emotionsregulation sowie der Schulung des Körperbewusstseins und der Entspannung profitieren können.

Lernen und lehren
Für unsere Oberstufenschülerinnen und -schüler war ihr erster Bodyscan der Auftakt für ihr Achtsamkeitsprojekt. Im weiteren Verlauf lernten sie weitere Meditationsformen, einfache Atemtechniken und Konzentrationsübungen kennen und vertieften sie. Parallel dazu ging es an die Planung, Vorbereitung und Umsetzung des Projektes, da es in diesen Seminaren auch darum geht, berufsorientiert erste Erfahrungen im Projektmanagement zu sammeln. So mussten die jungen Erwachsenen die klassischen Projektphasen erarbeiten. Und am Schluss war die größte Herausforderung zu bewältigen: im Teamteaching einfache Übungen zur Stärkung der Konzentration und Entspannung in den Klassen der 6. Jahrgangsstufe anzuleiten.

Am Ende stand ein fünfwöchiger Übungsplan mit kleinen achtsamkeitsbasierten Übungseinheiten für alle 6. Klassen. Alles in allem eine enorme Herausforderung und Leistung, ging es doch in der Umsetzungsphase um nichts Geringeres, als den Rollenwechsel vom Lernenden zum Lehrenden zu vollziehen. Dieser musste ebenfalls parallel vorbereitet werden: Wissen aneignen über Besonderheiten des Unterrichtens von Achtsamkeit mit Kindern und Jugendlichen, Unterrichtsskizzen ausarbeiten, das Anleiten trainieren und eventuelle Hürden einkalkulieren. Das Ganze wurde im Vorfeld sorgfältig im Kurs geübt und mit Begleitung der Lehrkräfte der 6. Jahrgangsstufe sowie der Kursleitung im Schuljahr 2022/23 selbstständig planmäßig umgesetzt.

Belohnt wurden die Seminarteilnehmenden mit positiven Feedbacks seitens der Unterstufenschülerinnen und -schüler: „Heute fühle ich mich sonnig!“, so die Rückmeldung einer Schülerin auf die Frage nach ihrer Stimmung. „Ich fand, ihr habt das wirklich SUPER gemacht. Was mich wirklich beeindruckt hat, ist, dass ihr das hinbekommen habt, unsere Klasse ruhig zu kriegen!“, war das schriftliche Feedback eines Kindes der 6. Klasse. Und auch Äußerungen wie „Die Stilleübungen haben mir besonders gefallen. Ich war hinterher immer so ruhig!“ und „Es war ein tolles Programm und immer so entspannend. Schade, dass ihr nicht mehr kommt!“ waren und sind ermutigende Rückmeldungen für die Seminarteilnehmenden.

Ein wertvolles Instrument
Claudia M. Dornfeld, die die Fächer Deutsch, Französisch und Ethik unterrichtet, ist ausgebildete MBSR- und Yogalehrerin und leitet seit vielen Jahren Achtsamkeitskurse an. Sie ist sich sicher, dass im Bildungsbereich mit dem Instrument Achtsamkeit ein wertvolles Tool zur Verfügung steht, das den pädagogischen Alltag nachhaltig bereichern und viel zur Gesundheit der Lehrkräfte beitragen kann. Diese Erfahrung teilt sie mit zahlreichen achtsamkeitspraktizierenden Kolleginnen und Kollegen im ganzen Bundesgebiet. Die Pädagogin betont, dass die wichtigste Voraussetzung die Freiwilligkeit sei – sowohl der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen als auch der Kolleginnen und Kollegen. „Achtsamkeit lässt sich nicht verordnen. Es lohnt sich aber auf jeden Fall, sich auf die Wirkungen von achtsamkeitsbasierten Übungen einzulassen und ein entsprechendes Angebot zu machen. Im Grunde ist die Achtsamkeit ein Lebensprojekt, das uns helfen kann, viele Herausforderungen mit mehr Klarheit und Gelassenheit zu meistern. Ganz konkret unterstützt sie bei stressbedingten Belastungen und ist eine wertvolle Fertigkeit für junge Menschen, da sie dazu beiträgt, emotionale und soziale Kompetenzen sowie Verantwortungsbewusstsein zu entwickeln.“

Dreifacher Profit
Die Schülerinnen und Schüler haben das Projektseminar allesamt freiwillig gewählt. Die praktische Umsetzung verlangte den Seminarteilnehmenden einiges ab. Es gab auch Zweifel. Und natürlich lief nicht immer alles rund. Auch Spielraum für Verbesserung ist da. All das darf sein – ganz im Sinne einer achtsamen, akzeptierenden Haltung. In der Summe aber profitieren die jungen Erwachsenen dreifach von ihrem Engagement: Sie konnten für ihr Berufsleben wertvolle Projekterfahrung sammeln, erste Lehrerfahrungen machen und haben nun ein hilfreiches Handwerkszeug für ihr persönliches Energie- und Stressmanagement. Entsprechend fällt das Feedback der Seminarteilnehmenden aus:

Durch das Seminar habe ich gelernt, mich vor Prüfungen auf meinen Atem zu konzentrieren und dadurch zur Ruhe zu kommen.“ Sophia, 19 Jahre

Die Kombination aus Achtsamkeit lernen und lehren hat mir sehr gut gefallen. Vor allem traue ich mich jetzt, mehr Verantwortung zu tragen.“ Eva, 18 Jahre

Das regelmäßige Praktizieren von Atemübungen hilft privat ebenfalls, sich in stressigen Situationen oder bei Angst besser beruhigen zu können. Je häufiger man sich auf seinen Atem konzentriert, desto einfacher fällt dies mit der Zeit.“ Sophie, 19 Jahre